Innere Versöhnung: Aufstellen von Anteilen

Abschalten und wieder gut schlafen können:
Traumatherapie und Aufstellungsarbeit

Vor Kurzem bat mich eine Klientin in der fortlaufenden Aufstellungsgruppe um Hilfe: Sie hatte Symptome, die sie sehr beunruhigten: plötzliches Herzrasen, eine große, innere Aufregung. Sie lag deshalb manchmal nachts wach. "Ich will da dran und da raus, aber ich habe auch Angst, dass das zu heftig wird und ich heute Nacht wieder nicht schlafen kann und es dann noch schlimmer wird."

Stellvertreter für verschiedene, innere Anteile
Wir kennen uns schon eine Weile und wissen beide, dass sie unverarbeitete Traumata in sich trägt. Wir stimmten uns ab. "Woran würdest du merken, dass die Arbeit hier heute genau richtig dosiert war?" fragte ich sie. "Daran, dass ich gut schlafen kann" antwortete sie prompt. Sehr gut, damit konnten wir starten.
Ich schlug ihr vor, Stellvertreter für verschiedene Anteile von sich auszuwählen und aufzustellen: Für ihr erwachsenes Selbst, für den verwundeten, verletzten Anteil, für die Aufregung, für das richtige Maß, für ihre Lebensgeschichte, in der sie auch Übergriffe und Gewalt erlebt hatte. Zunächst standen die Stellvertreter wie Fremde da, doch durch behutsames Fragen wurde es möglich, dass ihr verletzter Anteil Kontakt mit ihrem erwachsenen Selbst aufnehmen konnte. Erst nur Blickkontakt, dann ging es ein Stück näher, schließlich hielten sich die beiden an der Hand und waren überrascht, dass diese diese Verbindung sich gut anfühlte und heilsam war. Der Anteil für das richtige Maß und die Aufregung passten dabei immer auf, damit es nicht zu schnell ging. Das war überraschend für meine Klientin: "Ach so! Ich darf das Tempo bestimmen!" war einer ihrer ganz großen, erlösenden Erlebnisse. Ein paar Tage später schrieb sie mir, dass sie bereits einige richtig gute Nächte gehabt hatte.

Nicht immer geht es beim Aufstellen um die Familie
Es geht in Aufstellungen also nicht immer nur um Beziehungen zu anderen Menschen wie z.B. Familienmitglieder, sondern manchmal auch um eigene, innere Anteile. Du hast vielleicht schonmal erlebt, dass irgendwas in dir immer wieder kämpft, oder dass es sich anfühlt, als würden zwei Seiten in dir miteinander streiten. Das meine ich, wenn ich von "Anteilen" spreche. Und in Zeiten wie jetzt, wo sich Corona-Krise, Klimakrise und der Krieg in der Ukraine geradezu stapeln und uns buchstäblich auf die Nerven gehen, kann es sein, dass dir das mehr ausmacht. Auch die Beziehungen von Anteilen können mit Hilfe von Stellvertretern sichtbar und erlebbar gemacht werden. Und ganz oft zeigt sich hier- wie in dem Beispiel meiner Klientin - , dass einige Anteile "nicht miteinander können" und Unterstützung dabei brauchen, um sich anzunähern.


Die Arbeit mit inneren Anteil, z.B. mit dem inneren Kind
Vielleicht fragst du dich jetzt, was es mit diesen Anteilen auf sich hat, ob du auch so etwas in dir hast, wie es dazu kommt? Das Modell zu der Arbeit mit inneren Anteilen, ist durch das die vielen Publikationen zum "inneren Kind" bekannt geworden. Eine der bekanntesten Autorinnen ist Stefanie Stahl mit ihren Büchern zu "Das Kind in dir muss Heimat finden". Dabei sind "Anteile" hier mehr als Metapher zu verstehen. Als Diplom-Biologin liegen mir jedoch die Erklärungen der Neurobiologie mehr. Aus neurologischer Sicht ist ein Anteil ein Netzwerk aus Nervenzellen, das sich aus gemachten Erfahrungen gebildet hat. Dieses Netzwerk enthält Erinnerungen, Körperempfinden, Emotionen und Gedanken. Deshalb haben "innere Anteile" auch z.b. eigene Bedürfnisse, eine Funktion und oft auch ein Alter. (s. Verena König: "Bin ich traumatisiert?" GU-Verlag).

Trauma-assoziierte Anteile haben wenig Verbindung zu unserem Wesenskern
Anteile, die sich unter günstigen Bedingungen entwickeln, erleben wir als integriert. Wir fühlen uns verbunden und gut damit. Diese Ressourcen erleben wir oft als völlig selbstverständlich.  Mit anderen Anteilen haben es wir es nicht so leicht, sie haben in der Kindheit vielleicht erlebt, dass sie abgelehnt wurden, toxischen Stress aushalten mussten oder sogar körperlicher oder psychischer Gewalt ausgesetzt waren. Dann entwickeln sich Netzwerke von Neuronen, die Empfindungen wir Angst, Einsamkeit und Leid abgespeichert haben. Mit diesen Anteilen fühlen wir uns wenig verbunden, sie erzeugen innerlich häufig Stress und Druck. Diese "trauma-assoziierten Anteile" konnten sich nicht in dem Maße weiterentwickeln wie andere Anteile der Persönlichkeit, sie sind im Inneren wie isoliert, deshalb ist es auch oft nicht so leicht, einen Zugang dazu zu finden.

Die Integration braucht viel Geduld und Zeit
Traumatherapie ist also nichts, was man mal eben in einer Aufstellung "machen" kann. Meine Klientin aus der Aufstellungsgruppe hat schon viel an sich gearbeitet, hat viele Schutzschichten abgetragen und war so ihrem verletzten Anteil schon sehr nah gekommen. So konnte sie einen weiteren Schritt gehen, um ihre Geschichte und das, was diese in ihr hinterlassen hat, zu verstehen und ihren trauma-assoziierten Anteil ein Stück mehr liebevoll umarmen und integrieren.


Wenn dich das anspricht oder du Fragen dazu hast, schreib mir gerne!

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