Das Phänomen "Aufstellen" im Selbstversuch erleben

Mal die Perspektive wechseln

Manche denken allein schon bei dem Wort "Familienaufstellung", dass dabei etwas passiert, das "unheimlich" oder "peinlich" ist, etwas, wofür sie sich vor anderen schämen müssten. Oder sie befürchten, dass es unangenehm werden könnte, vor "fremden Menschen" etwas aus der eigenen Familiengeschichte auszubreiten. 
In Gesprächen versuche ich diese Angst oft zu nehmen und klar werden zu lassen, dass es immer nur darum geht, sich einen Aspekt aus einer Fülle von Geschichten anzuschauen und dass alles, was in einer Aufstellung sichtbar wird, ja schon geschehen und damit Vergangenheit ist. Und dass alle Beteiligten es auf irgendeiner Ebene sowieso schon wissen. Die meisten haben auch schonmal selbst erlebt, wie gut es tut, wenn man das, was alle wissen und was längst offensichtlich ist, in wertschätzender Atmosphäre ausspricht und anerkennt, dass es so ist wie es ist. Denn darum geht es beim Aufstellen im Kontext Familie ganz viel. 
Wir können die Vergangenheit ja nicht ändern, aber die Art und Weise, wie wir zu ihr stehen(!) und somit auch, wie sie auf uns wirkt. Und bekanntlich haben ja die Dinge keine Bedeutung, sondern wir geben ihnen eine Bedeutung. Und das können wir entscheiden.
Was noch dazu kommt, ist, dass man ja nicht nur Familiensysteme, sondern auch innere Systeme wie ein inneres einerseits andererseits oder sein inneres Team, einen Veränderungswunsch oder sein Verhältnis zum Geld (sehr aufschlussreich!!!) aufstellen kann. Aber nun genug erzählt, Aufstellungsarbeit ist nichts für den Kopf, sondern etwas für alle Sinne und es ist etwas zum Erleben. Und somit folgt jetzt eine Anleitung für Erfahrung.
Und da ich in der konkreten Aufstellungsarbeit immer beim "Du" bin, wechsle ich jetzt auch mal in diese Ansprache.

Du möchtest mal ganz für dich oder gemeinsam mit einem anderen Menschen, einer Freundin vielleicht, Aufstellungsarbeit ausprobieren? Prima. Du brauchst dazu 15-20 Minuten ungestörte Zeit und zwei Blatt Papier oder zwei flache Kissen, auf die du dich draufstellen kannst.  Wenn du Papier verwendest, kannst du es gerne beschriften, ein Beispiel dazu findest du oben.
Dann überlege dir, in wen du dich einmal hineinversetzen möchtest, um etwas mehr über eure Beziehung zu einander zu erfahren und sie vielleicht besser zu verstehen. Die Haltung, in der du in diese Übung einsteigst, ist entscheidend. Wenn du in einer wertschätzenden Haltung hineingehst und die Absicht hast, den anderen zu verstehen, wirst du andere Ergebnisse bekommen, als wenn du aus einer Wut heraus handelst oder etwas unbedingt erzwingen willst.
Entscheide also, welches der beiden Blätter für dich und welches für die andere Person stehen soll, beschrifte sie und lege sie dann intuitiv auf den Boden. Nicht darüber nachdenken, einfach tun! Stimmt der Abstand? Möchtest du noch etwas verändern?
Dann stelle dich - am besten ohne  Schuhe - mit beiden Füßen auf das Blatt oder Kissen und somit zuerst in deine Position und erlauben dir, alles wahrzunehmen, was du hier wahrnimmst. Wenn du alleine bist, kannst du das alles laut aussprechen und mit deinem Handy aufzeichnen oder dir ´was dazu aufschreiben. Wenn ihr zu zweit seid, kann dein:e Begleiter:in das für dich übernehmen.
Wie geht es dir hier hier? Wie fühlst du dich? Welche Körperempfinden gibt es? Wohin geht dein Blick? Wie tief geht dein Atem? Stimmt der Abstand? Verändere erstmal nichts, erlaube dir nur, alles wahrzunehmen. Und wie geht es dir in Bezug auf die andere Person?
Dann mache einen Schritt zur Seite, schüttle dich kurz und mache dir bewusst, dass du jetzt die Position der anderen Person einnehmen möchtest. Das ist ein bisschen so, als würdest du ein fremdes Haus betreten. Sei dir dessen bewusst und entsprechend achtsam. Vielleicht kannst du auch innerlich fragen, ob die andere Person wohl damit einverstanden wäre, wenn du da mal einsteigst.
Dann lasse dir Zeit, auch hier anzukommen und stelle dir die gleichen Fragen wie in deiner Position: Wie geht es dir hier? Wie fühlt diese Person sich? Welche Körperempfinden gibt es? Wohin geht hier der Blick? Wie tief geht hier der Atem? Stimmt der Abstand zu dir?
in Bezug auf die andere Person? Welche Körperempfindungen gibt es? Was macht der Atem? Wohin geht der Blick?
Dann steige nochmal aus und entscheide von außen und auf der Grundlage der Erfahrungen, die du jetzt gesammelt hast, ob du etwas verändert möchtest oder ob alles gut so ist wie es ist. 
Falls du etwas verändern möchtest, spiele zunächst vielleicht mit dem Abstand oder mit der Blickrichtung. Was passiert, wenn die beiden sich anschauen, der Abstand sich aber verringert oder vergrößert.  Verändere immer nur eines, dann steige ich beide Positionen wieder ein, wiederhole die Fragen aus der ersten Runde. Wiederhole das maximal dreimal.  Am Ende sollte es sich für beide Positionen leichter und entspannter anfühlen.
Viel Spaß beim Ausprobieren und ich freue mich, wenn du mir mal schreibst, was du erlebst hast.

 

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