Körperorientierte Traumatherapie: Gesunde Scham - toxische Scham

Grenzen setzen hat viel mit der Präsenz im Körper zu tun

Wie geht es dir mit dem Thema Grenzen? Kennst du deine Grenzen, und kannst du diese gut in Gegenwart anderer spüren und auch dafür einstehen? Dann brauchst du hier eigentlich nicht weiterlesen, es sei denn, das Thema interessiert dich, weil du Menschen kennst, denen das nicht so leicht fällt.
Falls du aber zu den Menschen gehörst, die zu oft JA sagen, weil sie ihr NEIN innerlich nicht gut spüren,  oder es zwar spüren, aber Angst davor haben, abgelehnt oder ausgegrenzt zu werden, wenn sie klar NEIN sagen - dann könntest du in diesem Beitrag einige wesentliche Hinweise für dich finden.
Und Achtung: Es kann sein, dass das Thema Grenzen und Scham etwas bei dir triggert. Sorge also dafür, dass du es gemütlich hast und dich geborgen fühlst, während du das liest. Und gönne dir eine eine Pause, wenn es dir zu viel wird.

Scham ist die Wächterin der Würde...
...und ein ziemlich intensives, inneres Gefühl.  Und sie will eigentlich etwas Gutes, denn gesunde Scham entsteht dann, wenn wir uns schützen wollen. Gesunde Scham sorgt dafür, dass unsere intimen Grenzen geschützt sind. Eigentlich erleichtert Scham uns das Zusammensein in sozialen Beziehungen und fördert unsere Sozialkompetenz. Denn gesunde Scham erinnert uns daran, dass wir - in gesunden Beziehungen oder in einer gesunden Gemeinschaft - auf das Wohlwollen der anderen angewiesen sind. Wenn wir gesunde Scham zur Orientierung nutzen, ist es in funktionierenden Beziehungen und in einer gesunden Gemeinschaft sogar eher unwahrscheinlich, dass unsere Grenzen überschritten werden.

Grenzverletzungen sind immer auch beschämend
Toxische Scham entsteht, wenn zu einem frühen Zeitpunkt in unserer Lebensgeschichte Grenzen verletzt wurden, denn Grenzverletzungen sind immer auch beschämend. Und wenn du noch Scham in deinem Inneren hast oder hälst, ist Grenzen setzen immer erschwert, weil dich das an unangenehme Gefühle und Situationen erinnert.

Ein Hinweis auf innere Scham ist z.B. die Angst, sichtbar zu sein und deine Bedürfnisse zu zeigen, besonders wenn es in einer Beziehung nah wird, aber auch im beruflichen Kontext. Es fällt dir vielleicht schwer, deine Begabungen und dein Potenzial zu erkennen, anzuerkennen und ins Leben zu bringen. Deshalb vermeidest du wahrscheinlich Risiken und gehst nicht in deine wirkliche Größe, denn wenn du etwas riskierst, riskierst du auch, beschämt zu werden. 


Perfektionismus ist ein Hinweis auf toxische Scham
Eine weiterer Hinweis ist das Gefühl, immer alles richtig machen zu müssen, Perfektionismus also. Der könnte darauf hinweisen, dass Fehler machen in deiner Lebensgeschichte auf eine beschämende Art bestraft wurde. Daraus können Anforderungen an dich entstehen, die sich so anfühlen, als müsstest du in allem perfekt sein. Vielleicht bist zu leicht zu verunsichern und reagierst schnell mit Rückzug, weil du sonst Gefahr läuft, eine für dich beschämende Situation zu kreieren. Damit verbunden ist oft auch die Angst, kritisiert zu werden, denn Kritik kann sich dann wie ein (erneuter) beschämender Angriff anfühlen, wie eine Grenzüberschreitung, die die alten Schamgefühle triggert, und du reagierst vielleicht mit Rückzug oder du wirst aggressiv und verletzt andere.

Bloßstellen, vorführen, abwerten - Dünger für toxische Scham
Die meisten, wenn auch nicht alle Erfahrungen, die toxische Scham geprägt haben,  liegen vermutlich weit zurück,  in der Zeit als du noch ein Kind und abhängig von anderen warst. Aber auch als Erwachsene können wir noch beschämt werden. Typische Verhaltensweisen, die toxische Scham auslösen sind:  Bloßstellen, Vorführen, lächerlich machen, niedergemacht werden - besonders vor anderen, schwarze Pädagogik, Verachtung, Erniedrigung, Demütigung, arrogant oder abfällig behandelt werden, sexuelle Nötigung, sexistische oder diskriminierende Bemerkungen. Natürlich auch durch das, was wir häufig in Familienaufstellungen sehen: durch das Übergeben von Schuld, vor allem, wenn anderen auch noch die Verantwortung dafür übergeben wird im Sinne von: du bist schuld daran, dass ich dich abwerte, denn du hast es nicht besser verdient.


Kein Wunder also, dass Grenzen setzen nur schwer gelingt

Es ist erst einmal wichtig, dir bewusst zu werden, welche Bedürfnisse und Wünsche du hast, die noch mit Scham gekoppelt sind. Wenn du das nicht erkennen und voneinander trennen kannst, kann es leider immer wieder passieren, dass du Scham erfährst, weil die ja schnell getriggert wird und sich dann anfühlt, als würdest völlig überrannt. Die alten Schamgebilde und Verbackungen wirken - je weniger sie dir bewusst sind, umso mehr entfalten sie ihre toxische Wirkung. Und Grenzen setzen, ist dann immer erschwert. Ein Teufelskreis.


Widme dich deinem verletzten inneren Anteil
Der Weg führt - du ahnst es schon - nach innen. Das Antidot, das Gegenmittel gegen die Scham ist die Würde, die Selbstachtung. Wenn es dir gelingt, dich in deiner Versehrtheit, also so wie du bist, anzunehmen und zu achten, hast du einen ganz wesentlichen Schritt geschafft, um die Scham zu transformieren und daran zu wachsen.
Ein "Ich achte mich - so wie ich bin" - "ich mag mich - so wie ich bin" als morgendliches oder abendliches Ritual, kann dabei Wunder bewirken. Am ersten Tag denkst du vielleicht noch: Was sage ich denn da, das glaube ich mir ja selbst nicht! Doch die Absicht genügt und mit jedem Tag kommt das  Gegenmittel Würde und Selbstachtung ein Stück mehr bei dir an und entfaltet seine Wirkung.


Ich wünsche dir viel Erfolg beim Erforschen und Ausprobieren!

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